Schutzeinrichtungen für Brücken und Stützwände: Teil 1 – Leistungsdaten und relevante Kriterien für die Installation

Schutzeinrichtung Bauwerk Riz Kap 1 LT 201 BW Ingenieurbauwerke

EN 1317 Bus Anprallversuch (TB51) auf einer „Riz Kap 1“ Brückenkappen-Konstruktion, Quelle: Linetech, BASt

Fahrzeug-Rückhaltesysteme (FRS) sind elementare Bestandteile der Verkehrssicherheit entlang unserer Straßen. Nahezu 100 % der installierten FRS bestehen aus Schutzeinrichtungen (SE). Alle FRS müssen bei den durchzuführenden Anprallprüfungen die Prüfkriterien der europäischen Norm EN 1317 erfüllen. Die dabei zu ermittelnden wesentlichen Leistungsdaten für Schutzeinrichtungen sind:

  1. Dynamische Durchbiegung (D – dynamic deflection): Seitliche Verschiebung einer SE nach einem Fahrzeuganprall => Indikator für die Standfestigkeit und Reparatur-Anfälligkeit im Betrieb, Link zum Kurzbericht dynamische Durchbiegung
  2. Wirkungsbereich (W – working width): Raumbedarf einer Schutzeinrichtung => je höher W, desto größer der Raumbedarf, Link zum Kurzbericht Wirkungsbereich
  3. Fahrzeugeindringung (VI – vehicle intrusion): Fahrzeug-Überhang von Schwerfahrzeugen über eine Schutzeinrichtung während eines Fahrzeuganpralls => wichtig bei Hindernissen hinter einer SE (z.B. Brückenpfeiler, VZB-Mast, etc.) Link zur Erläuterung des VI-Wertes
  4. Anprallheftigkeit (ASI – acceleration severity index und THIV – theoretical head impact velocity): Ermittlung der Fahrzeug-Insassen Belastung bei PKW-Anprallversuchen => technisch veralteter Kennwert, mehr Hintergrundwissen zu ASI und THIV: Link zum Kurzbericht Anprallheftigkeit

Im Netz der deutschen Bundesfernstraßen befanden sich im Jahr 2019 etwa 40.000 Brückenbauwerke, welche eine Gesamtlänge von etwa 2.100 km aufweisen (Quelle: BMVI). Die längste Brücke ist dabei über 4 km lang, der Großteil der Bauwerke hat jedoch eine Länge von weniger als 30 Meter.

Regelwerke definieren die Anforderungen

Auf europäischer Ebene werden die Bauwerk-spezifischen Anforderungen durch die EN 1991-2 (Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke – Teil 2: Verkehrslasten auf Brücken) geregelt. Die nationalen Voraussetzungen und Anforderungen für Bauwerksysteme werden im Wesentlichen in den zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV ING), den technischen Kriterien für den Einsatz von Fahrzeug-Rückhaltesystemen in Deutschland (TK FRS) und den Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme (RPS) beschrieben.

Die TK FRS enthalten beispielsweise im Kapitel 3 ergänzende spezifische Kriterien (BW 1 bis BW 7) für Schutzeinrichtungen auf Ingenieurbauwerken. Darin wird unter anderem aufgeführt, dass bei der EN 1317 Prüfung von Bauwerk-Systemen für Deutschland die Installation einer Dilatation in der aufgebauten SE obligatorisch ist und im ersten Drittel der installieren Schutzeinrichtung verbaut sein muss. Für Dilatationen ist gemäß den TK FRS, Anhang 6, zudem eine Prüfstatik für die Durchleitung von Längskräften erforderlich.

Installationen von Schutzeinrichtungen für Bauwerke in Deutschland erfordern eine Anprallprüfung auf einer Brückenkappen-Konstruktion gemäß Richtzeichnung Kappe 1, Blatt 1 (Riz Kap 1, Blatt 1). Die „Riz Kap 1“ Brückenkappe hat eine Breite von 2,05 m und eine fahrbahnseitige Neigung von 4 %. Der Abstand der fahrbahnseitigen Kappenkante zur Vorderkante der Schutzeinrichtung beträgt im Anprallversuch 50 cm. Anprallprüfungen mit LKW oder Bus müssen auf speziellen Prüfkonstruktionen durchgeführt werden: zur Ermittlung der Anprallkräfte muss eine 12 m lange Kappen-Sektion mit integrierter Kraftmesstechnik verwendet werden. Die Ergebnisse der Kraftmessungen werden mittels vorgegebener Kriterien bzw. Rechenalgorithmen in Kennwerte (z.B. horizontale Hilfsgröße, Vertikallast, Vertikallastfaktor) konvertiert und führen zu einer Einstufung der Systeme in beispielsweise Brückenlastklassen A – D (siehe auch: Fahrzeug-Rückhaltesysteme / Allgemeine Infos / Wissenswertes zu FRS). Eine weitere Kenngröße ist der sogenannte 1,25-fache charakteristische Widerstand, welcher – basierend auf den Regelwerken – rein rechnerisch ermittelt wird.

Für die RPS gibt es mit den Einsatzempfehlungen der BASt ein Zusatzdokument, welches sowohl Erläuterungen zur RPS als auch Beispiele für praktische Anwendungen enthält. Dort wird unter anderem auch beschrieben, wie mit Schutzeinrichtungen auf Brücken oder Stützbauwerken umzugehen ist, deren Länge kürzer ist als die Prüflänge in der Anprallprüfung.

Für die praktische Installation von FRS enthalten die zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Fahrzeug-Rückhaltesysteme (ZTV FRS) weitere spezifische Kriterien und Anforderungen für die Errichtung von FRS vor Ort. In der technischen Übersichtsliste (TÜL) für FRS der BASt vom 3. März 2022 sind von den insgesamt 198 aufgeführten Schutzeinrichtungen 32 Schutzeinrichtungen für Ingenieurbauwerke gelistet. Nachfolgend werden diese 32 Schutzeinrichtungen getrennt nach den relevanten Leistungsdaten dargestellt.

Die dynamische Durchbiegung ist elementar für die Beurteilung der Restsicherheit und der Nachhaltigkeit

Die dynamische Durchbiegung ist trotz der geringen Bekanntheit und Beachtung in der Praxis ein elementarer Leistungsparameter für Schutzeinrichtungen. Das gilt insbesondere für Nachhaltigkeitsbetrachtungen in der Betriebsphase, da der Kennwert der am besten geeignete Indikator für eine Vorhersage für eine Vorhersage der Reparaturwahrscheinlichkeit nach einem Fahrzeuganprall ist. Sobald im Anprallversuch eine seitliche Bewegung stattgefunden hat – sprich, dynamische Durchbiegung aufgetreten ist – muss auch über die gesamte Betriebsphase mit entsprechend vielen Reparaturen gerechnet werden.

Jede dynamische Durchbiegung nach einem Fahrzeuganprall reduziert zudem automatisch die Leistungsfähigkeit eines Systems. In Folge sind die anprallgeprüften Leistungsdaten nicht mehr verfügbar und die Schutzeinrichtung wird bis zur Durchführung einer fachgerechten Reparatur zu einem Sicherheitsrisiko. In Abhängigkeit der dynamischen Durchbiegung und der physischen Beschädigung des Systems nimmt die Leistungsfähigkeit zunehmend ab. Sind die zertifizierten Leistungsdaten nicht mehr abrufbar, müssen temporäre Absicherungen installiert und bis zu einer fachgerechten Reparatur vorgehalten werden.

In Bezug auf die dynamische Durchbiegung von FRS gilt die folgende Regel: Nur bei Schutzeinrichtungen mit einer dynamischen Durchbiegung = 0,0 m (unverschiebliche Systeme) ist auch in der Betriebsphase mit keinen oder einer nur sehr geringen Anzahl von Reparaturen zu rechnen.

Quelle Abbildung: Linetech, Schutzeinrichtungen für Bauwerke gruppiert nach dynamischer Durchbiegung

Mit Blick auf Fahrzeuganpralle im Betrieb bergen Bauwerk-Systeme, welche statisch in der Brückenkappe verankert sind und eine dynamische Durchbiegung aufweisen, ein Risiko von Beschädigungen der Brückenkonstruktion. Reparaturen von FRS auf Bauwerken stellen im Vergleich zu den Streckensystemen ohnehin eine besondere Herausforderung dar und sollten im Betrieb vermieden bzw. auf ein absolutes Minimum reduziert werden.

Die dynamische Durchbiegung ist weiterhin auch „der“ Leistungskennwert für eine Abschätzung der vorhandenen Restsicherheit eines FRS nach einem Fahrzeuganprall. Systeme mit einer dynamischen Durchbiegung = 0,0 m haben – sofern keine reparaturrelevanten Beschädigungen beim Anprall aufgetreten sind – eine Restsicherheit von 100 %. Systeme mit einer dynamischen Durchbiegung > 0,0 m haben automatisch eine reduzierte Restsicherheit. Die verbleibende Restsicherheit muss immer in Abhängigkeit der aufgetretenen Schäden (plastische Verformungen, Risse, gelöste Teile, etc.) betrachtet werden. Bei aufgetretenen Unfallschäden an Schutzeinrichtungen entlang unserer Verkehrswege wäre es diesbezüglich wünschenswert, die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen nach einem Fahrzeuganprall mit Beschädigung der Schutzeinrichtung zu konkretisieren, zu standardisieren und in den zugehörigen Regelwerken entsprechend aufzuführen.

Der Wirkungsbereich ist der primäre Parameter für den erforderlichen Raumbedarf

Der Wirkungsbereich beschreibt den Raumbedarf einer Schutzeinrichtung. Er wird in der Anprallprüfung ermittelt und definiert den Weg von der Vorderkante einer Schutzeinrichtung vor dem Anprall bis zum hintersten Punkt der Schutzeinrichtung während eines Anpralls. Die kleinste mögliche Klasse des Wirkungsbereichs ist W1 (Wirkungsbereich ≤ 60 cm). Bei der Bewertung von Wirkungsbereichen ist auch zu beachten, dass sich die Klassenbreiten mit zunehmendem Wirkungsbereich vergrößern (z.B. W1 zu W2: 20 cm, W4 zu W5: 40 cm).
Der Wirkungsbereich sollte immer gemeinsam mit der dynamischen Durchbiegung betrachtet und bewertet werden, da er allein keine Bewertung der Standfestigkeit von Schutzeinrichtungen ermöglicht.

Quelle Abbildung: Linetech, Schutzeinrichtungen für Bauwerke gruppiert nach Wirkungsbereich

Die Darstellung zeigt beispielsweise, dass in der Aufhaltestufe H2 bei den leistungsstarken Wirkungsbereichen W1 und W2 insgesamt 11 Systeme gelistet sind. Grundsätzlich gilt: Je geringer der Wirkungsbereich, desto geringer auch der erforderliche Abstand zwischen der Vorderkante der Schutzeinrichtung bis zu einer vorhandenen Gefahrenstelle. Geringe Wirkungsbereiche können zudem die Baubreite von Brücken oder Stützwänden verringern und damit die Baukosten beitragen. Im Idealfall werden auf Bauwerken Schutzeinrichtungen mit einem Wirkungsbereich W1 und einer dynamischen Durchbiegung = 0,0 m installiert.

Die Fahrzeug-Eindringung beschreibt den Überhang von anprallenden Fahrzeugen

Der VI-Wert ist ein Kriterium für den Überhang von Fahrzeugen über eine Schutzeinrichtung im Anprallversuch und damit ein weiterer Indikator für den Raumbedarf einer Schutzeinrichtung. Der VI-Wert wurde mit der Neuauflage der EN 1317-2 im Jahr 2010 eingeführt. Er wird von der Vorderkante des Systems vor dem Anprall bis zum maximalen Fahrzeug-Überhang während des Anpralls gemessen. Der VI wird „nur“ bei Schwerfahrzeugen – sprich LKW und Bus – bei Anprallversuchen ermittelt. In der Darstellung oben ist daher bei den N2-Systemen auch kein VI-Wert aufgeführt.

Quelle Abbildung: Linetech, Schutzeinrichtungen für Bauwerke gruppiert nach Fahrzeugeindringung

Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Leistungsparametern wird erst in einer Gesamtübersicht deutlich. Die nachfolgende tabellarische Darstellung zeigt die in der TÜL vom 3. März 2022 gelisteten Bauwerk-Systeme mit allen oben aufgeführten Leistungsdaten.

Die Abbildung zeigt, dass in der aktuellen TÜL über alle Aufhaltestufen nur 2 Bauwerk-Schutzeinrichtungen gelistet sind, welche eine dynamische Durchbiegung von 0,0 m aufweisen. Für die vielen in der Praxis installierten Systeme mit dynamischer Durchbiegung bedeutet dies, dass weiterhin viele Verkehrseinschränkungen durch Reparaturen im Betrieb zu erwarten sind. Mit Blick auf die zunehmende Anforderung an eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur ist es jedoch zwingend erforderlich, die Verfügbarkeit von Verkehrswegen zu maximieren und die Anzahl von Reparaturen im Betrieb konsequent auf „Null“ bzw. ein absolutes Minimum zu reduzieren. Wie bereits zuvor erwähnt, sollte der Aspekt des Reparaturaufwands wesentlich stärker bei den Planungen unserer Straßenverkehrs-Infrastruktur berücksichtigt werden.

Quelle Abbildung: Linetech, Darstellung der 32 TÜL-gelisteten Bauwerk-Schutzeinrichtungen unter Berücksichtigung von Aufhaltestufe, Werkstoff, dynamische Durchbiegung, Wirkungsbereich, Fahrzeug-Eindringung

Alle Bauwerksysteme aus dem Hause LINETECH zeichnen sich aus durch keine oder geringe dynamische Durchbiegungen, geringe Wirkungsbereiche und sehr hohe Restsicherheiten. Zwei Bauwerksysteme der Aufhaltestufe H2 (LT 101 ME, LT 201 BW) weisen Wirkungsbereiche W2 und W1 auf, die LT 201 BW – ausgestattet mit einer neuen innovativen Schubplatte – wurde in der Anprallprüfung sogar mit einer dynamischen Durchbiegung = 0,0 m zertifiziert. Für Anforderungen an geringe Horizontalkräfte bietet das System LT 101 ME ideale Voraussetzungen: Mit einer horizontalen Hilfsgröße von 138 kN und einem Wirkungsbereich W2 punktet das System insbesondere bei älteren Bauwerken mit Brückenlastklasse B. Im H4b Bereich weist unsere LT 104 BW einen Wirkungsbereich W3 auf. Link zum Kurzbericht Bauwerk-Systeme.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass alle unsere Bauwerksysteme frei aufgestellt sind und – wie in den Regelwerken gefordert – nur in der Lage gesichert werden. Das bedeutet konkret, dass bei der Errichtung der Systeme und auch bei Fahrzeuganprallen im Betrieb kein Risiko besteht, die komplexe Konstruktion von Bauwerk-Konstruktionen zu beschädigen. Im direkten Vergleich sind statische Verankerungen von Schutzeinrichtungen auf Brückenkappen-Konstruktionen mit Nachteilen behaftet bzw. bergen immer ein Risiko, dass die Brückenkonstruktion beschädigt wird – das gilt sowohl für die Erstinstallation als auch für unfallbedingte Beschädigungen. Hinweise auf Risiken sind unter anderem in den TÜL-Datenblättern vermerkt.

Dieser Beitrag besteht aufgrund der Fülle an Inhalten aus zwei Teilen. Den zweiten Teil werden wir in Kürze veröffentlichen.

Die aufgeführten Links können Sie auch direkt unter www.linetech.de in den Menüpunkten www.linetech.de/alle-beitraege/ und www.linetech.de/fahrzeugrueckhaltesysteme/ abrufen.

LINETECH – Standfeste, unverschiebliche Schutzeinrichtungen = reparaturfreier Betrieb